Ein Beitrag zum nachhaltigen Wickeln inklusive Interview und zahlreichen Tipps von Stoffwindelberaterin Charlotte Tittel.
Schon bevor ein Kind geboren wird, gehören Windeln zur Grundausstattung. In jedem Supermarkt machen sie einen Großteil des Angebots in der Babyabteilung aus und allerlei Windeltorten sind ein beliebtes Geburtsgeschenk. Der Markt ist riesig und allen Eltern bietet sich die Qual der Wahl, welche Windel denn nun für das Neugeborene am besten und gesündesten sind. Dabei verliert man oft aus den Augen, dass es tolle und erfolgreiche Alternativen zu den konventionellen Wegwerfwindeln gibt.
Windelfrei oder treffender ausgedrückt im Englischen „elimination communication“ also Ausscheidungskommunikation: Es geht darum die Signale des Babys zu empfangen, sie zu verstehen und entsprechend darauf zu reagieren.
Stoffwindeln*: Und nein wir meinen keine komplizierten Falttechniken aus den 80er Jahren sondern hochmoderne, nachhaltige und super süß designte Produkte. Sie sind wesentlich atmungsaktiver als Wegwerfwindeln und verursachen daher wesentlich weniger Hautirritationen oder Windeldermatitis. Außerdem weiß man genau welche Stoffe an die Haut des Babys kommen, was man bei Wegwerfwindeln nie genau sagen kann (Von Dioxinen, Quecksilber über Chlor und optische Aufheller kann man darin allerlei auch cancerogene Stoffe finden. Nur nicht auf gutes Marketing reinfallen, die teuersten Produkte sind sind in dieser Hinsicht NICHT die besten.)
Wenn‘s um das Thema Müllvermeidung und Nachhaltigkeit geht, kommen Familien mit Babys und Kleinkindern ja ohnehin nicht drum herum, sich einzugestehen, dass Wegwerfwindeln den Löwenanteil des eigenen Hausmülls ausmachen. Bis zu 8 Windeln pro Tag braucht ein Kind, und das durchschnittlich über mind. 2 Jahre hinweg. Man braucht kein großer Rechner zu sein um die Berge an Müll vor Augen zu haben. Dass Stoffwindeln einmal eine größere Investition bedeuten wirkt oft abschreckend (300-500€ für Windeln!!??), aber auch hier kann man schnell nachrechnen, dass die riesige Differenz um die Wegwerfwindeln auf Dauer teurer sind (gut 2000€ auf 2 Jahre), auch nicht durch erhöhte Waschkosten (Wasser und Energie) geschmälert werden kann.
Wir müssen aus eigener Erfahrung zugeben, dass es oft nicht ganz einfach ist sich nicht vom Mainstream mitreissen zu lassen und wir auch zum Teil zu wenig konsequent in der Nutzung unserer Stoffwindeln waren. Dennoch sind wir voll überzeugt, dass Stoffwindeln der einzig richtige Ansatz sind. Bei Kind Nummer zwei werden wir uns diesbezüglich aber professionelle Beratung gönnen, das spart Zeit, Geld und bereitet einen optimal vor. Zu diesem Thema haben wir mit der Stoffwindel- & Trageberaterin Charlotte Tittel aus Linz ein Interview führen dürfen. Ihre Ausführungen haben schon viel Licht ins Dunkel gebracht und sind sicher für den einen oder anderen unter euch hilfreich und interessant. Viel Spaß beim Lesen.
1. Es gibt ja mittlerweile unzählige Marken und Systeme, wie findet man das für sich Richtige in all der Auswahl?
Dafür, dass der Stoffwindelsektor leider noch eine Nische darstellt, gibt es tatsächlich eine unfassbar große Auswahl an Produkten. Ich empfehle immer eine Stoffwindelberatung oder zumindest den Besuch eines Stoffwindelworkshops, um zumindest einmal alle Systeme erklärt zu bekommen und selbst einmal die Stoffwindeln an einer Puppe ausprobieren zu können. Nur dann kann man einschätzen, welches System einem liegt oder was man sich im Alltag gut vorstellen kann. Außerdem macht ein Windel-Testpaket Sinn, um herauszufinden, was dann auch dem Baby gut passt. Diese Pakete kann man bei vielen Shops und auch Beratern (wie mir zum Beispiel) ausleihen oder mieten.
2. Und was ist das Besondere an den verschiedenen Möglichkeiten (AIO, Prefolds, Wolle…) und welches ist dein bevorzugtes System und warum?
Alle Stoffwindeln haben gemeinsam, dass sie aus einem nässeschützenden Teil und einem saugenden Teil (Einlage*) bestehen. Die verschiedenen Systeme kommen dadurch zustande, dass die Einlagen verschieden oder nicht mit der nässeschützenden Überhose verbunden sind. Auch die unterschiedlichen Materialien haben ihre Eigenschaften, welche je nach Anforderung an die Windel eine Rolle spielen
Jedes System hat seine Vor- und Nachteile. Am Beispiel der AIO: Sie ist der Wegwerfwindel am ähnlichsten, leicht und schnell anzulegen, bequem für unterwegs oder für „Fremdwickler“. Es muss dann leider auch die ganze Windel in die Wäsche. Das heißt, ich brauche mehr Windeln (höhere Investition), sie erzeugen viel Wäsche und trocknen langsamer.
Je mehr Teile ein System hat, desto weniger Wäsche produziert es. Paradox, oder? Das liegt aber daran, dass man die nässeschützende Überhose mehrmals benutzen kann, wenn nur die beschmutzte Einlage zum Wechseln ist.
Eine Überhose mit Prefolds*oder Mullwindeln ist unser liebstes System. Ich kann in die Überhose zur Nacht auch eine Höschenwindel (Saugwindel) hineingeben, am Tag reichen andere, dünnere Einlagen oder eben meine geliebten Mulltücher*. Außerdem kann ich dann die Einlagen 60 °C waschen und die Überhose nur 30-40 °C, das schont das Material und macht die Windeln langlebiger.
Wenn die Kinder mobiler werden, verrutschen die Einlagen eventuell. Es gibt Windeln, bei denen die Einlagen mit Knöpfen an der Überhose befestigt werden (SIO = Snap-in-One), da ist man auch bei den Einlagen oft an den Hersteller gebunden. Ich lege in diese Überhosen aber genauso meine Mullwindeln oder Prefolds hinein. Man sollte nicht alles so dogmatisch sehen, sondern es handhaben, wie es für einen passt.
Wollwindeln* sind momentan sehr gehyped. Zu Recht, denn Wolle hat echt tolle Eigenschaften: Sie ist natürlich, temperaturregulierend und hat selbstreinigende, hautschonende Eigenschaften. Eine gefettete Wollüberhose ist der beste Nässeschutz, besonders für die Nacht, sie kann nämlich zusätzlich 30 % ihres eigenen Gewichtes an Flüssigkeit aufnehmen und bleibt atmungsaktiv. Wenn sie nur mit Urin in Kontakt kam, kann sie mit zwischenzeitlichem Auslüften 3 Wochen lang benutzt werden. Sobald sie zum müffeln anfängt, ist das Lanolin verbraucht und sie sollte erneut gewaschen und gefettet werden*.
Ich persönlich rate bei Wolle aber zur Vorsicht! Nicht alle Kinder und auch Erwachsene vertragen Wolle gut. Einige meiner Kunden konnten Wolle nicht einmal anfassen, Neurodermitiker reagieren eventuell auf Wolle. Das Wollwachs Lanolin ist ein sehr komplexer natürlicher Stoff voller Allergene und kann deswegen genauso wie Mandelöl und Co Allergien auslösen. Darum am besten ausprobieren, ob das Kind auf Wolle reagiert.
3. Auf was muss man beim Stoffwindel-Anlegen besonders achten, so dass nichts ausläuft und alles schön dichthält?
Am wichtigsten ist: Die Windel muss gut passen. Bei einem Mehrgrößen-System sollte also die richtige (Kleider-) Größe gewählt werden, bei einer One-Size Windel (Einheitsgröße) sollte die Windel so eingestellt werden, dass die Beinbündchen schön an der Haut anliegen, das Kind die Beine aber frei bewegen kann. Am besten das Kind auf den Rücken legen, die Beinchen leicht anheben – die Beinbündchen sollten dabei nicht von der Haut abstehen. Am Bauch sollte zwischen Haut und Windel 1-2 fingerbreiter Abstand sein. Alle Stoffis sitzen etwas hüftiger als Wegwerfwindeln, also eher unter dem Bauchnabel.
4. Gerade bei schlanken Kindern wirkt die Stoffwindel ziemlich überdimensional, ist das nicht unbequem und schränkt die Bewegung des Kindes ein?
Jede Windel schränkt die Bewegung etwas ein, auch Wegwerfwindeln (besonders die, die den Kindern voll bis zu den Kniekehlen hängen). Aber davon abgesehen, gibt es einerseits sehr schmal geschnittene Stoffwindeln mit kleinem Windelpaket. Andererseits kann man Stoffis zum Breitwickeln verwenden, das unterstützt sogar die Hüftentwicklung der Babys bis zum Laufalter. Auch da kommt es also auf die Anforderungen an, die man an die Windel hat. Ich persönlich bin dafür, dass Babys und Kinder am Tag auch mal ein paar Minuten ohne Windel gelassen werden, um ihren Körper und ihre Bewegungen kennen zu lernen. Wenn ich jetzt meine beiden Kinder vergleiche, kann ich keine Bewegungseinschränkung feststellen. Die kleine Maus sitzt, seit sie 6 Monate alt ist und will mit ihren 8 Monaten schon fast losgehen.
Stoffis haben dafür so viele Vorteile. Gern erzähle ich dir darüber auch noch mehr 😀
5. Wie lagerst du die gebrauchten Windeln bevor du sie wäscht? Und was gibt es dabei zu beachten?
Luftig lagern ist wichtig. Du kannst einen Windeleimer benutzen, aber am besten ohne Deckel. Ich nehme einen ausrangierten Kopfkissenbezug, den ich dann einfach mitwasche. Genauso gut kannst du eine große Nasstasche (Wetbag) benutzen.
Ich lagere – sofern möglich – Einlagen und Überhosen getrennt, und gebe die Überhosen nach dem ersten Spülgang mit in die Wäsche.
Waschlappen* lagere ich auch separat von den Stoffwindeln* – zu nass sollten die Stoffwindeln nicht gelagert werden, denn sonst entstehen Stockflecken oder Schimmel und der aufgespaltene Ammoniak greift das Material zu sehr an.
Wenn du also vorhast, die Stoffwindeln mit Hand vorzuwaschen (was nicht nötig ist), dann hänge sie bitte luftig auf oder trockne sie vor dem eigentlichen Waschgang.
6. Wie viel öfter pro Tag wickelt die Durchnittsmami mit Stoffwindeln?
Puh, schwer zu sagen. Ich bin eine Vielwicklerin, weil ich mein Kind nicht in seinen Ausscheidungen sitzen lassen möchte. Das empfehle ich aber nicht nur Stoffwicklern, sondern jedem der wickelt – egal wie oder mit was. Schön bei Stoffis ist, dass es mir wurscht ist ob eine Windel mehr oder weniger gewaschen wird.
7. Ist das nicht kompliziert, wenn man außerhalb der Wohnung unterwegs ist? Hast du da Tipps?
Nee, meines Empfindens nach ist das gar nicht kompliziert. Ich nehme ein paar vorbereitete oder fertige Windeln wie AIOs mit und eine Nasstasche*, wo die dreckigen Windeln reinkommen. Diese Nasstasche (Wetbag*) ist geruchsneutral und wasserdicht, da merkt man nichts. Stoffwindeln stinken übrigens weniger als die Chemiebomben von Wegwerfwindeln.
Für unterwegs kann man auch noch waschbare Unterlagen* mitnehmen. Zum abwischen nehme ich auch unterwegs Waschlappen*. Eine Wasserflasche hab ich immer dabei, und für die kurze Zeit tu ich den feuchten Waschlappen mit in den Wetbag* oder nehme einen zweiten mit, nur für die Waschlappen.
Ich bin Sicherheitsfreak und habe immer Wechselklamotten mit. Bei Stoffis ist das aber eigentlich gar nicht nötig, weil die besser dicht halten als Wegwerfwindeln. Es kann zwar sein, dass eine Kackplosion die Bündchen ordentlich trifft, aber wenn die Windel gut sitzt, bleibt alles drin und der Body sauber.
8. Und wie wird das, wenn das Kind größer wird und die Urinmenge sich vervielfacht? Vor allem nachts?
Je älter die Kinder werden, umso weniger oft scheiden sie aus, dafür aber größere Mengen auf einmal. Es gibt spezielle Windeln in XL-Varianten für die Nacht, diese saugen bis zu 600 ml. In Kombination mit einer gefetteten Wollüberhose (sofern diese vertragen wird), ist das die perfekte Nachtlösung. Sobald das Kind mit trockener Windel wach wird, am besten gleich nach dem Aufstehen aufs Töpfchen setzen. Dann ist es in der Nacht bald trocken.
Hanf zum Beispiel ist ein sehr saugstarkes Material und gut geeignet für große Urinmengen (in Kombination mit Baumwolle, Viskose oder Mikrofaser) oder für Nachtwindeln. Es gibt auch noch andere ausgeklügelte Textilien wie Zorb, ein speziell für die Verwendung in Stoffwindeln entwickeltes Faservlies.
9. Wie ist das in der Fremdbetreuung, bei uns z.B. kenne ich keine Krabbelstube, die jemals mit Stoff gewickelt hätte, wie bringt man das den Erzieherinnen bei?
Am besten direkt mit der betreuenden Person sprechen und die süßeste Stoffi mitnehmen, die du hast. Versprich ihr, dass du die Windeln vorbereitest, zeig‘ wie sie angelegt wird und dass die vollen Windeln direkt in den Wetbag kommen. Wenn das Hygiene-Argument kommt, würde ich kontern, dass beschmutzte Klamotten ja auch gewechselt werden und nicht im Müll landen. Sollten sie trotzdem nicht mit sich reden lassen, kann man ggf. eine lokale Stoffwindelberaterin zur Hilfe holen oder ein ärztliches Attest einholen, dass das Kind nur Stoffwindeln verträgt.
10. Was sollten die Mamis, die gerne Stoffwickeln würden vorab beachten, damit das auch klappt und nicht (so wie bei uns) scheitert?
Lasst euch nicht stressen und macht aus dem Wickeln keine Wissenschaft. Wie eingangs schon erwähnt, macht eine Beratung durchaus Sinn, denn ihre Empfehlungen sparen euch Zeit und Geld, und ihr könnt sie im Falle von Problemen oder Unsicherheiten immer kontaktieren.
Auch ein gemietetes Testpaket ist für den Anfang eine gute Idee, um zu schauen, wie man im Alltag mit dem Stoffwickeln zurechtkommt. Austausch mit anderen Stoffwindelmamis ist auf jeden Fall hilfreich. Vielleicht bietet ja die lokale Stoffwindel-Beraterin Treffen an?
Und das Wichtigste: Lasst euch von eurem Umfeld nichts einreden. Sobald man ein Kind bekommt, meint die ganze Welt mitreden zu müssen. Im Grunde es ist eure Entscheidung wie und mit was ihr wickelt, da können sich die anderen ihr Kopfkino selbst angucken.
Jede frischgebackene Mami und jeder frischgebackener Papa müssen das Wickeln erstmal lernen. Warum dann nicht gleich mit modernen, gesunden, zuckersüßen Stoffwindeln*?
Charlotte Tittel ist Linzerin, studierte Biologie und entschied sich nach der Geburt ihres Sohnes 2015 sich gezielt in den Bereichen Wickeln mit Stoffwindeln und Trageberatung weiterzubilden, um ihre vielfältigen Erfahrungen und ihre Leidenschaft dazu auch an andere weitergeben zu können. Stöbert gerne auch auf ihren Homepages Wickelwahnsinn und Starke Mama oder besucht ihre Profile auf Facebook https://www.facebook.com/starkemama/ und https://www.facebook.com/Wickelwahnsinn/
Solltet ihr Interesse an Beratung haben könnt ihr auch gerne Kontakt via wickelwahnsinn@gmx.at oder hallo@starke-mama.at mit ihr aufnehmen.
Ist noch etwas unklar oder gibt es noch etwas, das ihr unbedingt fragem wollt? Hinterlasst gerne einen Kommentar!
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Wer noch weiterlesen möchte, kann in diesem Beitrag die deutschen Stoffwindelhersteller der Windelmanufaktur und ihr bekanntes 3-in-one System näher kennenlernen. Sie zeichnen sich vor allem durch ihre hochwertige Verarbeitung und ihre nachhaltige Unternehmensführung aus. Die Windeln sind alle komplett Plastikfrei.
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